[Text aus der Studienzeit]
In der Reichenau musst du schon Gärtner oder Künstler sein, um deine Existenz sichern zu können.
Gemüse und Idylle gibt es da genug.
Das wussten einst die Mönche schon, Kunstschaffende zogen ihnen nach:
die Seele baumeln lassen unter blühenden Apfelbäumen oder spazierend über Felder gelb-sprießenden Löwenzahnes.
Den Blick auf den See gerichtet oder zum Himmel empor.
Die Inspiration fließt.
Einst wurde von Walahfrid Strabo ein Kräutergärtlein angelegt, um Herbarien zu ziehen;
Pergamente voll beschrieben mit kunstvollster Buchmalerei;
der St. Gallener Klosterplan beschäftigt uns ja noch heute.
Später nutzten die modernen Maler ihre Sommerfrische und malten die Insel, so wie sie sie liebten und empfanden.
Und heute schlenderte ich durch dicke Kirchenmauern, romanischen Stiles, gotische Elemente, wie der kunstvolle Hochaltar in der Apsis. Die einst verehrten hoch-heiligen Reliquien sieht man heute hinter Glas in der Schatzkammer;
das im 10. und 11. Jahrhundert blühende Klosterleben wich einem modernen Altersheim;
Rückzugsort für Freiheitsuchende und –Liebende?
Der Duft von Flieder in allen Farben durchströmt noch meine Nase, die Kraft der Sonne spüre ich noch auf meiner Haut.
Kleinstadtidylle. Ruhe. Stille.
Aus einem Haus ertönt ein melodiöses Spiel am Klavier – mein Herz wird beflügelt.
So denke ich an die Sonnenuhr an der Wand im Innenhof des einstigen Klosters von Mittelzell (denn 3 große Kirchen hat diese Insel) und ergänze die dröhnenden Fagotte.
Die Geschichte wird lebendig:
Mönche arbeiten fleissig in den Gärten, der Hitze wegen mit strohenen Sonnenhüten auf dem Kopf und die spitze Hacke in der Hand.
Fortfahrend, ruhelos und doch gleichmäßig arbeiten sie im Schweisse ihres Angesichtes zur Ehre Gottes: „Die Ernte ist gross und der Arbeiter sind wenige...“ klingt es aus dem Evangelium nach.
Ihre braunen Kutten wehen in der vorbei blasenden Prise des Seewindes, die weisse Kordel gibt ihnen Halt um die Mitte.
Und heute? Was bleibt von dieser Zeit?
Ihre Spuren sind längst vergangen und doch liegt etwas von diesem langen Atem in der Luft; nimmst du ihn wahr – höre nur.
Copyright: Verena Grafinger (Schnitzhofer), Am Bahnhof D/Konstanz geschrieben, 12.5.2006 (Besuch fand im Zuge meiner Diplomarbeitsrecherchen statt. Die Vita der Hl. Verena geht nämlich auf Hatto von Reichenau zurück.)