[Text aus der Studienzeit]
Der Wasserhahn ist kein Gockelhahn wie du jetzt denkst. Er ist ein Wasser-Hahn... Du weißt schon, das silberne oder goldenen Ding, wo Wasser rauskommt.
Wozu ist er eigentlich da? Wie kam er zu seinem Namen? Was – du hast dir darüber noch keine Gedanken gemacht?
Ich werde versuchen (nicht nur) seine Geschichte zu erzählen:
Es war einmal eine Henne. Die hatte keinen Hahn. Sie war auch anders als alle anderen Hennen am Hof. Sie fühlte sich zu etwas besonderem Berufen, ohne zu wissen was es war. Etwas Höheres, etwas mit richtiger Lebensqualität jedenfalls, das wusste sie schon. Aber wie konnte sie herausfinden, was hinter ihrem Drang steckte? Sie musste ja schließlich Eier legen. DAS war ihr Beruf. Was aber war ihre Berufung?
Keiner ist da, ihr das zu beantworten. Die anderen Hennen gackerten sie immer nur an, verstanden nicht was sie meinte. Sie war alleine. Verlassen. Keiner war für sie da... bis sie eines schönen Tages aus ihrem strohbedecktem Nest herausstieg (sie hatte den Schnabel endgültig satt vom Eierlegen – schließlich ist sie ja keine Maschine – sondern laut Etikette ein „glückliches Huhn“) und sich auf das große Abenteuer ganz einließ.
Es war sonnig. Der Hof war groß, staubig und richtig abenteuerlich – wie bei Indiana Huhns. So viele Dinge, die sie noch nicht gesehen und gekostet hatte... Es war also warm. Richtig warm. Ja richtig heiß sogar. Sie musste sich einen Schattenplatz suchen, um nicht zu verbrennen (schließlich war sie ja kein Brathuhn, oder?!). Sie watschelte also den Weg entlang – auf der Suche nach Schatten (watscheln tun ja eigentlich die Enten, aber unsere Henne war offensichtlich schon erschöpft und vielleicht auch ein bisschen traurig, weil sie so alleine war.)
Sie watschelte also noch immer den Weg entlang und kam schließlich und endlich zu einer Türe. Wie soll nun eine so kleine Henne wie unsere eine nun mal eine ist, da hineinkommen? Muss die denn überhaupt hinein? „Keine Chance da durch zu gelangen“, druckste das Huhn vor sich her – bis sich ihr langsam und leise die Hauskatze näherte. Ein Blick von diesem vierpfotigen haarigen Tier genügte, um unsere Henne in ein zitterndes, starres Etwas zu verwandeln. „Keine Angst, heute hab ich keinen Gusto auf Huhn – ich bekomm jetzt gleich was viel besseres...“ miaute die Katze und schlüpfte geschwind und elegant durch die Katzentüre ins Haus, eine bibbernde, sich langsam fassende Henne zurücklassend.
„Natürlich – das ist es!“ Unser Henderl bückte sich und lugte vorsichtig und bedächtig durch die kleine Schwingtüre ins Innere des Hauses. Sie testete die Lage und hielt Ausschau nach einer möglichen Falle. Sie wagte sich aber doch durch den Durchgang und schlüpfte hinein.
Und da war es auch schon. Genau in dem Moment, als sie ihre Krallen auf den hölzernen Fußboden setzte – da hörte unser Huhn ein eigenartiges wunderbares Geräusch. Es ging ihr durch Mark und Bein. Vielmehr war es nicht nur ein Geräusch, sondern ein Rauschen, dass es noch nie zuvor gehört hatte. Es klang ähnlich wie am Bach (ja unsere Henne war doch wahrlich eine glückliche), aber doch wieder anders. Sie torkelte den hohen und langen Gang entlang und kam dem Rauschen immer näher. Ihre Suche machte sich bezahlt. Ja, DAS musste in der Tat die Ursache des Plätscherns sein: ein komisches Ding, wo frisches Wasser direkt aus der Wand herausschoss – weißes Nass – sie hatte ES gefunden!
„Das ist aber ein lustiges Ding!“ Die Henne beschloss es ein paar Tage von Distanz aus zu beobachten. Aber selbst die Katze näherte sich ohne Bedenken dem kräftigen Wasserstrahl.
Am vierten Tag kam es zu folgendem Ergebnis: „Sicher ist dieses Ding auch sehr einsam. Vielleicht sogar einsamer als ich? Zwar wird es ein paarmal am Tag gestreichelt – kurz berührt – dann gibt es Wasser her – dann wird es wieder berührt – und es hört auf zu fließen, aber dann ist es wieder traurig und ruhig. Vielleicht sollte ich ihm Gesellschaft leisten?“
Die Henne flatterte kurz mit den Flügeln auf und landete ganz in der Nähe des Dinges. Es nun genauer betrachtend dachte sie sich, was für einen schönen glänzenden Kamm dieses Ding wohl hatte. Es musste ein Hahn sein!
Da fiel ihr etwas ein: ihre Großmutter hatte ihr erzählt, dass vor langer Zeit diese Hähne auf besondere Weise in die Welt gekommen seien und sogar dressiert und poliert werden würden, um Wasser an alle zu verteilen. Sie gäben dann sonderbar-magische Töne von sich, die alle Welt faszinierte. Ihre Großmutter schwärmte insbesondere von einem italienischen „Gockel“, den sie besonders bewunderte ob seiner klaren und gebildeten Stimme. Für unser Huhn war die Sache klar: sie hatte auch so einen (ihren!) Hahn gefunden! Ihre Freude war überwältigend groß.
Zwei weitere Tage vergingen und unsere Henne hatte trotzdem brav zwei Eier gelegt. Wohl dafür wurde sie selbst gestreichelt und betätschelt, was ihr wohlgefiel. Nur ihren Hahn verstand sie nicht ganz: Immer wenn sie ihn etwas fragte, blieb er stumm... Ihr zuliebe könnte er doch schon singen, oder? Es half nichts, nur wenn jemand anders kam, dann antwortete er. Dafür war das dann ein so schöner und imposanter Gesang, dass es alle ihre Bekümmernisse aufwog. Das Wasser, dass er beim Singen ausspuckte wurde sogar in Gläsern und Töpfen aufgefangen! Dabei fand die Henne besonders interessant, dass die Menschen nachdem sie dieses spezielle Wasser getrunken hatten, stets nach MEHR verlangten und glücklicher als zuvor aussahen.
Nun ja, meinte unser stolzes Huhn, schließlich sei ihr Mann der tollste Wasserhahn weit und breit!
Copyright: Verena Grafinger (Schnitzhofer), 2003.