Diese vierteilige Serie wird im Laufe des Jubiläumsjahres 2025 im Allianzspiegel der "Evangelischen Allianz Österreich" veröffentlicht und greift sozio-politische (anstatt die eher bekannten theologischen) Themenkränze der Täuferbewegung auf, die bis ins Heute hineinwirken und beleuchtet Einzelschicksale als mutiges Zeugnis.
veröffentlicht im Allianzspiegel Nr. 151 (Mai 2025)
Einleitung:

Überblick Serie:
#1 Bildung (Download Nr. 150, S. 23 |Artikel hier im Blog lesen)
#2 Hierarchien (Download Nr. 151, S. 17 |Aktueller Blog-Artikel)
#3 Arbeit (erscheint Anfang September)
#4 Religionsfreiheit (erscheint Anfang Dezember)
Bildbeschreibung:
Eine der jüngsten täuferischen Siedlungen mit einer Fläche von etwa 0,4 ha ist der Einzelhof Allingau (Alinkov) in Mähren. Es ist der einzige vollständig erhaltene Hof. Erste belegte Erwähnung der Täufer mit 1596.
#2 Hierarchien
Eine gewisse Rangordnung und Positionierung bestimmter Rollenbilder scheint allen Ethnien und Kulturen (z.B. Altes Ägypten oder antikes Griechenland), „Sozialstrukturen“, Familien oder Unternehmen, gemein zu sein: Aufgaben sind klar definiert und bestimmten Personen oder Gruppen zugeordnet (man denke an den Stamm Levi, der die Priesterklasse stellte); eine gewisse Klassifizierbarkeit, Arbeitsteilung, verantwortliche Fürsorge- und verwaltende Versorgungspflicht gehen mit diesen gesellschaftlichen Ordnungssystemen einher. Das ist für das Überleben und die soziale Ordnung wichtig.
Das Wort „Hierarchie“ kommt vom Griechischen und bedeutet „Heilige Herrschaft/Führung“. Da die Gottes-/Götterverehrung meist den höchsten Rang einnahm, war die zugehörige „Priesterschaft“ in der oft stufenartig dargestellten Struktur (Pyramide) oben angeordnet und eben als „heilig“ konnotiert. Bei Ämtern in diversen Kirchen ist es ähnlich: grob vereinfacht für die römisch-katholische Kirche z.B. Papst – Kardinal – Bischof – Dekan – Pfarrer – Kaplan – Diakon. Auch bei evangelischen oder reformierten Kirchen gibt es diese Abfolgen, wenn auch mit anderen Titeln.
Die Täufer des 16. Jahrhunderts lehnten staatlich verordnete Kirchen und bestehende gesellschaftliche Hierarchien als „weltliche Machtstrukturen“ vehement ab. So auch Eidesleistungen und Kriegsdienst, teilweise auch Steuern und Zölle. Ihr Glaube fußte auf der persönlichen Entscheidung für Christus und Bekehrung und nicht auf dem Geburtsrecht oder einem Siegelring. Die „Glaubenstaufe“ war das, was zählte und den Platz in der Ortsgemeinde sicherte. Nur Gott sollte man sich unterwerfen, nicht einem weltlichen Herrscher. Und dennoch bildeten auch die Täufer eigene Hierarchien aus, die sowohl religiöse als auch soziale Dimensionen hatten: es gab Bischöfe (z.B. Wilhelm Reublin und Leonhard Schiemer), Prediger (einen „Kanzeltausch“ gab es übrigens auch schon damals), Älteste, Vorsteher, Helfer, Lehrer, Sekretäre und Hofmeister/Meier etc. Und dennoch war ihre Hierarchie etwas anderer Natur: ihr Hauptzugang war die Wiederherstellung einer gemeindlichen Struktur wie zur Zeit der Apostel. Bereits in den „Schleitheimer Artikeln“ (1527) wurde festgehalten, dass der Gemeindevorsteher ein Hirte (keine Hirtin!) sein soll, der ein vorbildliches Leben führt und von der Gemeinde gewählt ist. Trotz der verschiedenen Ämter war alles flacher und gemeinschaftlicher orientiert und organisiert. So konnte die Ortsgemeinde auch jemanden absetzen (oder sogar von der Gemeinde ausschließen), der sein Amt missbrauchte und z.B. Geld für sich selbst heranschaffte oder Ehebruch begangen hatte. Eine Novität! Und leider auch Realität bei den Täufern.
Die radikale Ablehnung der Kindertaufe und des Staatseinflusses auf religiöse Praktiken führte zu Verfolgung und Verboten der Täufer und ihres Glaubens in vielen Teilen Europas. Gleichzeitig forderten die Täufer den „freien Willen“ ein. Sie lehnten, wie Erasmus, den Prädestinationsgedanken ab und sahen in Gott nicht jemanden, „der den Menschen entweder erwählt oder verwirft“[1]. Selbstbestimmt könne der Mensch in sein Schicksal eingreifen, „was auch die Voraussetzung für die Auflehnung gegen obrigkeitliche Instanzen, v.a. der Kirche“[2], bedeutete. Diese Selbstständigkeit, ja gar die von der Staatskirche angestrebte gemeindliche Unabhängigkeit, z.B. indem „Laien“ Erwachsene tauften, auch (in Deutsch) predigten, trug sozialrevolutionäre Züge und großes Konfliktpotential in sich. „Als Laienbewegung mit nur wenigen herausragenden, theologisch gebildeten Führergestalten stellte das Täufertum für die katholische Kontroverstheologie einen [jedoch] nur bedingt ernstzunehmenden Gegner dar; eine Gelegenheit zu spektakulären Disputationen bot sich hier kaum.“[3] „Es entstanden geheime Untergrundkirchen, auf deren Entdeckung Verfolgung und Tod standen; Migration wurde zum Kennzeichen täuferischer Existenz.“[4]
Hinsichtlich des Umgangs mit weltlichen Obrigkeiten kam es auch im „Gelobten Land“ Mähren, dem ersten Zufluchtsziel (da dort religiöse Freiheit und Sicherheit herrschten), auch intern zu Zwistigkeiten und Zerwürfnissen: Der große Täufermissionar für weite Teile von Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg Hans Hut wollte z.B. keinen Dienst an der Waffe leisten (Gewaltfreiheit). Huts Anhänger (auch „Stäbler“, von Wanderstab, Hirtenstab, oder „stille Täufer“ genannt) lehnten neben jeglicher Gewalt auch die Zahlung von Kriegssteuern ab, was zu Zeiten von vermehrten sozialen Unruhen (Bauernaufstände 1524-26) natürlich nicht auf Goodwill bei den Behörden stieß. Balthasar Hubmaiers Anhänger hingegen (zur Unterscheidung als „Schwertler“ bezeichnet) schreckten nicht davor zurück auch das Schwert zur Verteidigung ihres Landes einzusetzen und den Befehlen der Obrigkeiten z.B. im Kampf gegen die Türken (Belagerung in Wien 1529) Folge zu leisten.
Die weltlichen Autoritäten konnten die vielen kleinen, inhomogenen Gruppen, die lokal in Haus- bzw. Ortsgemeinden organisiert waren, kaum unterscheiden.[5] Im Kern waren sie eine „Bekennerkirche“, wenn auch nicht als Kirche per se geeint. Die Täufer und später in Mähren als Hutterer bezeichneten taufgesinnten Gläubigen führten ein eher zurückgezogenes Leben in dörflicher Gemeinschaft, mit eigenen Siedlungen (Hofhaben, Bruderhöfen) und praktizierten Gütergemeinschaft (erstmalig in Austerlitz/heutiges Tschechien). Ein bewusster Bruch mit damaliger Zivilgesellschaft.
Frauen waren in Vielem gleichberechtigt. Ihr „Ja zu Christus“ wurde ernstgenommen. In der Anfangszeit waren sie sogar predigend und missionierend unterwegs wie z.B. Ursula Nespitzer, die ihren Mann Eucharius Binder (aus Thüringen) u.a. nach Salzburg begleitete. Ursula Jost aus Straßburg wirkte an einem von Melchior Hoffman herausgegebenen Büchlein (1530) über Prophetie mit, sie galt als „Liebhaberin Gottes“.
Auch unterschieden sich die Erfahrungen der Frauen hinsichtlich Verfolgung, Gefangenschaft und Folter bis in den Tod (nahezu 40% waren Märtyrerinnen!) nicht von der der Männer. Christina Brenerin hielt 1618 der Folter „mit mannlichen [für heldenhaft, tapfer] Gedanken gewappnet“ Stand und gaben keine Namen weiterer Geschwister preis. Besonders Nichttäufer nahmen Frauen nicht für voll hin und stellten sie oft als „einfältig, wankelmütig oder schwach“ hin. Was die Frauen selbst teilweise auch als Argument für ihren Widerruf verwendeten.
Dennoch – wie meist in der Geschichte (obwohl es auch Matriarchate wie z.B. in der minoischen Kultur im Neolithikum gab) – war auch hier das Patriarchat vorherrschend.
Obwohl es gebildete Täufer- und Huttererfrauen gab, die z.B. Trostbriefe an Gefangene verfassten, was zur damaligen Zeit eher eine Ausnahme in der Schicht der Bauern und Handwerker war, wies man ihnen eher „niedere“ Dienste zu, die unmittelbar der Gütergemeinschaft dienten wie als Köchin, Wasserträgerin, Bäckerin, Wäscherin, Spinnerin oder Näherin. Auch ihre gewinnbringenden, ökonomischen Kompetenzen sollten wiederum die Männer beherrschen. Gemeindeälteste weisen 1610 darauf hin, dass die Meier „ihre Weiber nicht also Meister sein lassen“[6] sollen. Bei Wahlen, die die Gemeinde betrafen, waren die Frauen ziemlich sicher ausgeschlossen.
Zusammenfassend lässt sich dennoch sagen, dass die Täufer ihrer Zeit voraus waren und mutig an neuen sozialen Strukturen anhand von biblischen Beispielen und Lebenswelten arbeiteten. Sie machten einen Unterschied und legten so im Kleinen sicherlich auch Grundsteine für freikirchliche Gemeindeordnungen, sowie (basis-)demokratische Zugangsformen, die in der Aufklärung vertiefter behandelt werden sollten, wie z.B. die Menschenrechte. In der nächsten Kolumne werden wir uns mit der Arbeitsmoral und einigen technologischen Errungenschaften der Täufer beschäftigen.
[1] Frank Staeck. Carline Welsch, Ketzer, Täufer, Utopisten, Pfaffenweiler 1991, In: Ulrich Knefelkamp (Hg.), Forum Sozialgeschichte, Band 2, S. 283.
[2] Staeck, Ketzer, S. 284.
[3] Christoph Dittrich, Die vortridentinische katholische Kontroverstheologie und die Täufer, Cochläus. Eck. Fabri, In: Europäische Hochschulschriften. Reihe III. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Serie III, Band/Vol. 473, Frankfurt am Main. Bern. New York. Paris 1991, S. 263.
[4] Astrid von Schlachta, Täufer. Von der Reformation ins 21. Jahrhundert, Tübingen 2020, S. 18.
[5] So auch die Meinung von Marianne Wagner, Die Ausbreitung des Täufertums in Salzburg, In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. 142, Salzburg 2002, S. 94-97.
[6] Astrid von Schlachta, Nur „weibischer wanklmut“? Täuferinnen zwischen Verfolgung und Gemeindeleben, 2025, S. 9.
Autorin: Verena Schnitzhofer
Buchempfehlung:
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